Simple Minds Frontmann Jim Kerr im Interview: Neues Album und die alten Simple Minds Zeiten

Auf über 30 Jahre Musikgeschichte können nur wenige Bands zurückblicken. Die Simple Minds sind eine der erfolgreichsten Bands der 80er und 90er Jahre und haben die aktuelle Musikgeschichte mitgeschrieben. Sänger Jim Kerr bringt nun sein erstes Soloprojekt raus und wagt somit nach über 30-Jähriger Liaison mit seiner Band Simple Minds den Alleingang.

Als ”Lostboy aka“ bringt Jim Kerr ein frisches Album heraus, das eine ganz andere Handschrift enthält als der typische Simple Minds Sound. Jim Kerr klingt jung mit seinem Pseudonym ”Lostboy“ und hat uns in einem Interview erzählt, wie er in den vergangenen Jahren zu einer musikalischen Energie wiederfinden konnte, die er schon als Teenager verspürt hat.

Inforand: Hallo und schön, dass wir Dich zum Interview treffen können. Bist Du heute in Berlin angekommen?

Jim Kerr: Ich bin seit gestern da muss sagen, ich liebe Berlin! Ich mag es sowieso, viel zu reisen und es gibt viele wunderschöne Orte. Aber Berlin ist einzigartig. Ich denke mir niemals ”schon wieder Berlin“, denn es gibt in Berlin immer wieder neue Plätze zu entdecken. Alles ändert sich hier.

Vielen lieben Dank für dein neues Soloalbum. Es gefällt mir ausgesprochen gut!
Jim Kerr: Ich bin immer glücklich, wenn ich das hören darf ….

… das ist Dein erstes Solo-Projekt nach 30 Jahren in einer weltbekannten Band. Wie fühlt es sich für Dich nun an, wenn Du auf Solopfaden unterwegs bist?
Jim Kerr: Es ist sehr aufregend, aber irgendwie ist es mir immer noch ein Rätsel. Wenn Du mich vor drei Jahren gefragt hättest, ob ich zu einem Soloprojekt in der Lage wäre, hätte ich wahrscheinlich gesagt ”Spinnst Du!?“. Jedesmal, wenn jemand aus einer Band ein Solo-Projekt startet, denkt man immer, sie sind frustriert oder angepisst oder sowas.

Aber ich habe die Simple Minds immer geliebt. Warum ich mich nun aber wieder so stark der Musik zugewandt habe, hat was mit mir als 18-Jährigen zu tun: Ich war damals von Musik besessen, es gab nichts anderes in meinem Leben, ich hatte nur Musik in meinem Kopf und musste mich niemandem gegenüber verantworten.

In den vergangenen zwei Jahren hat mich die Musik wieder komplett eingenommen, was dazu geführt hat, dass ich nicht nur zehn Songs im Jahr geschrieben habe, sondern 40 oder 50. Ich musste mir überlegen, wohin mit all der Musik, wie passt das mit den Simple Minds zusammen? Einige Songs hätten nicht zu den Simple Minds gepasst.

Erstes Soloprojekt nach 30 Jahren Simple Minds: Am 14.05. erscheint "LostBoy aka Jim Kerr".
Erstes Soloprojekt nach 30 Jahren Simple Minds: Am 14.05. erscheint "LostBoy aka Jim Kerr".

Wie war denn Dein interner Prozess, die Entscheidung zu treffen, dass Du nun ein Soloprojekt machst?
Jim Kerr: Zunächst wollte ich ja mit keiner neuen Band anfangen. Ich bin in einer großartigen Band – zumindest finde ich die Simple Minds großartig. Außerdem wollte ich kein Jim Kerr Album machen, das hätte irgendwie langweilig geklungen. ”Jim Kerr … “ schnarch! Das wäre zu berechenbar gewesen. Ich habe mich dann auf fünf oder sechs Songs konzentriert, die ich sehr mochte.

Diese Songs hatten eine ganz andere Energie, eine Energie die mich eben an die Zeit erinnert hat, als ich 18, 19 oder 20 war. Dann habe ich angefangen, mir einen Charakter auszudenken und dachte: ”Was würde dieser junge Mann nun machen, welche Musik würde er machen, wenn er nicht meinen Weg eingeschlagen hätte“. Und daraus kam die Idee, den ”LostBoy“ zu kreieren. Eine Verbindung zwischen mir und dem verlorenen Jungen, den ich hinter mir gelassen habe.

Also hast Du wieder zu der Energie gefunden, die Du als Teenager hattest … und hast dem Erwachsenensein abgeschworen?

Jim Kerr: Ja, es ist ein Teil von mir. Ich bin sozusagen in meiner Entwicklung nun bei ”Peter Pan“ stehengeblieben. Andere würden es eine Midlife Krise nennen. Wahrscheinlich haben beide Faktoren zu diesem Resultat geführt.

Jim Kerr über die Simple Minds

Mit den Simple Minds habt ihr immer wieder eure Musik neuerfunden. Ist das ein Rezept für eine Band, die über 30 Jahre bestehen bleiben kann?

Jim Kerr: Es hilft auf jeden Fall, wenn Du als Band stehen bleibst, stirbst Du. Aber auf der anderen Seite, sieh Dir AC/DC an. Sie haben ihren Style niemals geändert, das wollten wir eigentlich auch, aber wir wollten uns auch niemals langweilen. Ich glaube auch nicht, dass wir bewusst so viele neue Sachen ausprobiert haben. Wir haben unsere Identität behalten und gleichzeitig neue Sachen gemacht – das war vielleicht auch unser Erfolg. Wenn man mich auf die Simple Minds anspricht, weiß ich nicht, welche Simple Minds gemeint sind: die frühen Hardrocker, die Avangardisten, die Simple Minds, die Stadien gefüllt haben oder die Popband Simple Minds. Die politisch engagierten, die Folkband, die Elektronischen – all das waren die Simple Minds.


Wie hat sich in deinen Augen eigentlich die Musik seit den 80ern entwickelt?
Jim Kerr: Alles hat sich geändert. Es gibt keine Plattenläden mehr, die Plattenindustrie hat sich neu erfinden müssen und erwachsen werden müssen. Gestern Abend habe ich aus dem Hotel in Berlin heraus neue Musik an einen Freund in den Staaten verschickt. Damals hätte man sich solche Sachen nicht träumen lassen. Trotzdem hat sich die Musik in ihrem Fundament niemals geändert: Es geht immer um den Sound, um die Melodie, um die Gefühle dahinter. Wenn es auf die Bühne geht, geht es nach wie vor darum, Menschen zusammen zu bringen und diese Essenz wird sich auch niemals ändern.

In den 90er Jahren hattet ihr bei den Simple Minds einige Schwierigkeiten. Die Bandmitglieder sind gekommen und gegangen. Wie habt Ihr Euch damals immer wieder motivieren können, weiterzumachen mit so einer Fluktuation?

Jim Kerr: Manchmal war es auch sehr hart, sich zu motivieren. Wir hatten niemals den Willen aufgegeben, Musik zu machen, aber ich glaube, wir haben viel Vertrauen verloren. Außerdem waren die 90er nicht unsere Zeit. Wir waren die Band einer anderen Generation und da ist es schwierig, wenn die neue Generation heranwächst. Es gibt natürlich Bands, die ganz gut durchkommen, aber für andere kann es sehr schwer sein.

In der Zeit, wenn die neue Generation ankommt, muss man sehr stark sein und die besten Ideen haben. Bei uns war es so, dass wir zwar nicht auseinander gegangen sind, aber irgendwie sind wir innerlich verkümmert. Es waren schwere Jahre. Wenn Du mich nun fragst, warum wir im Endeffekt nicht aufgegeben haben … auch wenn es vielleicht anmaßend klingt, aber wir sind nun mal Künstler. Weißt Du, nach über 30 Jahren geht man durch dick und dünn. Man hält zusammen, ob es Sinn macht oder sinnlos erscheint, ob es Deinem Herzen gut geht oder ob Du Herzschmerz hast.

Der Mensch Jim Kerr, der Musikgeschichte schrieb

… wie in einer Beziehung oder einer Familie. Wie schlägst Du die Brücke zu Deinem echten Familienleben außerhalb der Band, zum Beispiel auch zu dem Hotel auf Sizilien, das Du besitzt?
Jim Kerr: Ich bin in das Hotel nicht wirklich involviert. Dort gibt es ein professionelles Management und außerdem ist das nicht die Branche, in der ich mitspiele. Gott sei Dank!

Es wäre es Desaster, wenn ich am Hotel mitarbeiten müsste. In meinem Leben gab es immer nur die Musik und die Reisen. Ich bin ein Reisender, ich lebe an verschiedenen Orten und fühle mich nirgends so richtig zu hause und ich brauche das auch nicht. Ich brauche meine Arbeit und und ich brauche die Abwechslung. Ich besuche Orte, an die andere Menschen nicht hinkommen.

… welche Orte meinst Du?
Jim Kerr: Zum Beispiel als ich in Sizilien gelebt habe. Zu dieser Zeit waren dort keine Engländer oder Deutsche. Es war wirklich so, dass man in einer anderen Kultur war. Ich habe auch viel Zeit in Asien verbracht. Wenn ich dort bin, will ich wirklich an dem Ort auch ankommen. Wirklich dort sein und ankommen. Dann erst kannst Du in diesem Ort aufgehen und dein Herz kann sich öffnen.


Also machst Du so eine Art spiritueller Reisen nach Asien?
Jim Kerr: Ich bin viel in Japan. Ich meditiere zwar nicht, aber ich mag die Philosophie dort, weil sie soviel mit Gemeinschaft zu hat. Es ist ja nicht nur eine Religion, sondern macht auch Sinn.

Als Reisender mag ich natürlich neue Sachen und vor allem exotische Sachen. Asien ist für mich der Ort, an dem ich noch Exotisches sehen kann. Weißt du, ich kenne Europa, ich kenne Amerika, ich kenne Australien.

Gibt es Momente in den 30 Jahren Musikgeschichte, die Du ja mitgeschrieben hast, an die Du Dich speziell erinnerst? Kann man überhaupt sagen, dass es ”einen“ speziellen Moment gab?

Jim Kerr: In meinem Fall gibt es natürlich einige Momente, die ikonisch waren, zum Beispiel Live Aid oder die Mandela-Konzerte. Das erste Mal, als ich im Wembley Stadion gespielt habe oder das erste mal als wir eine Platinplatte erhalten haben. Das sind alles großartige Momente, aber ich kann mich auch an das erste Mal erinnern, als ich auf der Bühne stand und die Menschen mir applaudiert haben. Ich werde niemals vergessen, als ich das erste Mal mit der Band nach West-Berlin gefahren bin. Wir kamen damals aus Hamburg und mussten erst über die deutsch-deutsche Grenze.

Es war eine Location in der Kantstraße, ich glaube es hieß ”Kantkino“. Es war so aufregend, weil dort nur 10 Leute waren und wir diesen ganzen weiten Weg dafür gemacht haben. Aber die Menschen liebten uns auf der Bühne. Es fühlte sich an wie süßer Erfolg und wir waren so glücklich, dass sie unsere Musik liebten. Solche Momente sind für mich irgendwie spezieller als diese großen historischen und ikonischen Momente, die schließlich nicht passiert wären, wenn es diese kleinen Momente nicht gegeben hätte.

Sein erstes Soloprojekt „Lostboy! A.K.A Jim Kerr“ erscheint am 14.05.2010.

Interview: Milla Block