Gonzo meets – Psychiatrie und Gesellschaft

Andreas Friske
Andreas Friske

Das 21. Jahrhundert ist im Jahre 2016 zahlenmäßig gesehen erst an seinem Anfang angelangt. Doch Entwicklung von Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft lassen dies nur wenig erahnen.

Während zwei Drittel der Menschen weltweit in armen, beziehungsweise Schwellenländern leben müssen, leben und leiden wir in unserem ersten Drittel auf unsagbar hohen Niveau. Die sozio-ökonomische Divergenz steigt, und niemand kann diese bremsen.

Eine Facette unserer Ellenbogengesellschaft bleibt dabei oft unbeachtet. Sicher ist es oft medialer Präsenz geschuldet, dass Begriffe wie Burnout schon zum Normalvokabular gehören. Doch was verbirgt sich hinter unserer Mentalität, jeden und alles für den eigenen Wohlstand zu überbieten und den zunehmend überfüllten Psychiatrien unserer Welt, der ersten Welt?

Neonlicht tüncht die Flure in einen Schimmer der Hoffnungslosigkeit. Wer es hierher geschafft hat, der ist am Boden. Keine Hoffnung, keine Zukunft, keine Perspektive, vielleicht gar eine gute Vergangenheit, doch die meisten hier haben selbst eine solche nicht hinter sich gelassen.

Ausgebrannt, abgedreht, manisch, depressiv

Diese Begriffe kennt jeder von uns. Die Menschen, die hier darauf hoffen gesund zu werden, haben allesamt jegliche Energie verloren. Die Psychiatrie ist für sie die einzige Lösung, der sichere Hafen, das unsinkbare Schiff, das sie nach Hause bringen soll.

Max ist einer von ihnen. Einer von unzähligen Menschen, die hier ihren Platz gefunden haben, der sie noch viel weiter führen wird. Er lässt verlauten, wie es zu seiner Schizophrenie kam, unter vorgehaltener Hand wohlgemerkt, denn Schizophrenie ist dank skandinavischen Bestsellerkrimiautoren für viele Ottonormalverbraucher der Inbegriff von Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

So fordern die Weißkittler von ihm einen offensiven Umgang mit seinem Krankheitsbild, dass die Menschen meist aufgrund von Bildungslücken verschreckt. Immer habe er fleißig seine Überstunden gemacht, habe gar auf Ansprüche verzichtet, um es dem Chef recht zu machen. Sein Privatleben stellte er stets hinten an, hielt sich mit Kaffee auf einem kognitiv hohem Level und versagte am Ende.

Paranoide Schizophrenie

Das heißt, er hatte so viel Stress, dass seine Synapsen jegliche Filterungsfunktion des Stresshormons Dopamin verwehrten, da sie irgendwann überlastet waren. Und nun? Sehen er und seine Leidensgenossen, sich als Versager an. Doch warum?

Nun, unsere allseits so elegant formulierte soziale Marktwirtschaft, die zugegebenermaßen im Vergleich zu den freien Marktwirtschaften in der restlichen Welt tatsächlich einen Tick sozialer ist, hat ihren Beitrag dazu geleistet.

Heiko ist 52 Jahre alt. Auch er ist nun in einer solchen vom Volksmund als Irrenanstalt bezeichneten Einrichtung gelandet. Er selbst, Dozent an einer Universität, hat jegliche Freude am Leben verloren. Depression ist seine Diagnose.

DepressionJeden Tag stand er früh um vier Uhr auf um seine Vorlesungen vorzubereiten. Dann stürzte er sich in die völlig überfüllte U-Bahn um zur Arbeit in die Hochschule zu fahren, wo ihm die zynischen und arroganten Schüler das Blut aussogen, während der Chef zeitgleich jede Beschwerde dieser Blutsauger mit Enthusiasmus aufnahm um ihn bezüglich seiner Leistung noch mehr unter Druck zu setzen. Oder aber Anne, die als Friseurin in einem biederen Salon in der Turmstraße in Berlin arbeitet, und sich dort im Fünfzehnminutentakt neuen Kunden hingeben musste, um ihren Unterhalt zu gewährleisten.

Anne war immer eine Frohnatur, doch nach fünf Jahren Berufserfahrung ist sie nun nicht mehr als ein ausgebranntes Wrack. Sie faselt irgendwas von Kameras, die sie auf Tritt und Schritt verfolgen, von Gedanken ihrer Mitmenschen. die sie als laute Stimmen wahrnehmen würde. Max, Heiko und Anne, das sind nur drei von hunderttausenden Menschen, die auf kurz oder lang in der Psychiatrie gelandet sind. Und um welchen Preis?

Alle drei, aus so unterschiedlichen Metiers sie auch stammen mögen, verbindet etwas: das System, das sie zu dem gemacht hat, was sie nun sind. Nun wird es sicher einige knallharte Puritaner geben, die sagen, dass jeder seines Glückes Schmied sei.

Doch genau das ist falsch. Es ist eben so, dass jeder versucht, seines Glückes Schmied zu sein, seinen Wohlstand im Smith’schen Sinne zu mehren, um daraus dann Wohlstand für viele zu kreieren. Doch die Essenz des Ganzen führt die Vielzahl der Menschen in den psychischen Wahnsinn. Wahnsinn, der keine Grenzen kennt. Die Gesellschaft der Globalisierung, die nur darauf abzielt, jedes Mitglied der Gesellschaft so gewinnbringend wie möglich auszuschlachten, kennt nämlich schon längst keine Grenzen mehr.

Ob reich oder arm

Jeder wird so gut es geht ausgenutzt und irgendwann in Rente geschickt, mit 70 oder künftig vielleicht gar mit 75 wenn er schon nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Das Problem an unserer Gesellschaft ist nicht etwa die Freiheit, sondern die Grenzenlosigkeit. In so fern sind wir, wie es der Philosoph Satre festgestellt hat, zur Freiheit verdammt.

Wir stehen am frühen Morgen auf, gehen zur Arbeit und quetschen uns acht oder mehr Stunden lang in ein engmaschiges Korsett, das uns unserer selbst gänzlich beraubt. Stress, die Ursache des menschlichen Versagens auf psychischer Ebene, scheint, oder besser gesagt ist der Motor dieses zynischen Systems. Und alle Gutmenschen, die sich mit ihren veganen oder bioterroristischen Phantasmagorien im schlechten Gewissen der Menschen einprägen wollen, sind ebenso kleine unbedeutende degenerierte Rädchen wie all die anderen auch.

PsychiatrieWährend also der Fleischfresser, der Veganer, der Sozialist, der Konservative, also mit Anklang alle diese gescheiterten Existenzen, ob sie nun viel oder wenig verdienen, sich am Morgen in ein schickes Auto oder in die versiffte U-Bahn oder in den Bus setzen, um das Bruttoinlandsprodukt zu steigern, kann von einem schon lange nicht mehr die Rede sein. Von Gesundheit. Unsere Fähigkeit, Resillienzen aufzubauen, beziehungsweise zu erhalten, ist Stück für Stück verkümmert, und selbst das mit System. Denn wie sie alle wissen, verdienen Therapeuten, Ärzte und Kliniken, an den Kassen in die wir einzahlen.

Die Maschinerie, welche uns umgibt, ist geradezu makellos und perfekt. Lassen Sie mich bitte erläutern, warum dies so ist. Ob rechts oder links, ob USA oder die Russische Förderation. Oder, dies für den, der es extrem mag, Nordkorea. Alle Staaten auf dieser Welt zielen darauf ab, egal was für eine Ordnung ihnen voraus geht, das Individuum auf möglichst einfache Art und Weise auszunutzen und zu zerstören.

Und wenn auch das Zerstören vielleicht ungewollt erfolgt, so ist es doch die logische Konsequenz dessen, was ich ihnen nun erklären möchte: In allen Extremen, also im Kapitalismus auf der einen oder aber in der Planwirtschaft auf der anderen Seite gibt es ein großes Ziel, das nicht etwa im Sinne von Smith oder Marx der Mensch ist. Das Ziel sind blühende Bilanzen, und schwarze Unternehmenszahlen. Der Mensch ist ein Sklave von Zahlen.

Psychische Erkrankungen sind also nichts weiter als die Auswüchse der vermeintlich modernen Gesellschaft. Diese Entwicklung geht weit zurück bis in die Antike, wo der Mensch begann, über andere Macht zu übernehmen, und ihn zum Teil einer großen Vision von Macht und Stärke zu machen. Um die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, und somit dessen Zerstörung zu analysieren, bedarf es keinem Marxismus. Es bedarf dazu nur blankem Realismus.

Die große Masse derer also, die in den Psychiatrien landet, läuft Tag für Tag Tag einer Vision hinterher. Das es um sie gehen könnte. Sie existieren bereits im Unterbwewusstsein, ohne dass sie von vielen hingenommen werden, werden sie jedoch von allen genährt.

Es ist Fakt, dass wir alle Teil einer großen Spirale des Elends sind. Die erste Welt lebt auf Kosten der Zweiten und der Dritten Welt, die Zweite Welt wiederum lebt auf Kosten der Dritten und damit ist die Dritte Welt in diesem seelenlosen System der ewige Verlierer.

Die Maschinerie ist eng geknüpft. Makellos gar: Zur Arbeit gehen, seine Energie verbrauchen, bezahlt werden, etwas kaufen, vermeintlich glücklich sein.

So stellen sich die Absolventen unserer Bildungseinrichtungen die Welt vor. Der Abschluss macht die Leute. Und wer sich dagegen wehrt, der ist immer noch Teil des Systems. Ein Beispiel gefällig? Ein Arbeitsloser geht in den Laden und kauft Wasser von Nestlé, einem Konzern, der in der Dritten Welt massenhaft Brunnen bauen lässt und Wasser privatisiert, um es dann in der Ersten Welt möglichst teuer zu verkaufen, was die Einheimischen noch ärmer werden lässt als sie es sind.

Zweitens kauft ein Manager sich einen neuen Anzug, welcher von Kindern und Heranwachsenden in Asien produziert worden ist, die für einen geringen Lohn, den ihre Familie zum blanken Überleben braucht, auf ihre Zukunft ganz und gar verzichten.

Und was machen wir daraus? Wir kaufen Dinge, weil wir sie kaufen müssen. Weil wir den Besitz brauchen wie der Junkie die Drogen. Die moderne Gesellschaft ist vergleichbar mit einem wahrhaften Scheiterhaufen. Auf ihm opfern wir unser Seelenheil, Wohlstand und Erfolg nehmen die Mitte unserer Existenz ein. Eines spielt dabei jedoch keinerlei Rolle: Das Glück. Glück bedeutet im philosophischen Sinne Erfüllung. Das heißt, dass der glückliche Mensch ein bewusst lebendes Individuum sein muss. Jeder von uns weiß aber, dass materielle Dinge und Geld nicht glücklich machen.

Doch trotz alledem opfern wir uns für einen glänzenden Kontostand und das Papier in unserer Geldbörse bedingungslos auf. Ob ich nun Brot kaufe und durch die Investitionsspielereien an der Nahrungsmittelbörse in Chicago einen oder mehrere Investoren reich mache, oder ob es das Shirt ist, das mir gefällt oder das Smartphone, das so gut in meiner Hand liegt und das ohne Erze aus Afrika nicht funktionieren würde – es gibt kein Entkommen aus dem Kreis der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

Selbst bei uns Menschen in der Ersten Welt, wo das Geld seinen Sitz hat, ist es undenkbar, dass wir ohne unseren Eifer überleben könnten. Zu tief hat sich in uns der Drang nach Leistung und eine möglichst hohe Konformität eingeprägt.

Die Menschen werden deshalb krank, weil sie Teil dieses großen Elends sind. Das engmaschige, undurchlässige Voranschreiten macht uns krank. Wir sind entkernt. Wir werden schizophren, Borderline, depressiv oder alles zusammen, weil wir uns selbst völlig vergessen im Dschungel des Konsumrausches, aus dem es kein Entkommen gibt. Wenn sie mich jetzt für einen Spinner halten sollten, dann schalten sie doch einfach ihren Fernseher, oder das Radio ein, und sie werden sehen, dass auf den zahllosen Sendern die kein Mensch braucht, eines nie berücksichtigt wird. Der Mensch und seine natürlichen Bedürfnisse. Glück, Liebe, Sicherheit, Selbstvertrauen und zu guter Letzt. Freude am Leben. All diese Dinge kann man sich eben nicht mit Geld kaufen, auch wenn die Werbeindustrie sich bemüht uns dies zu suggerieren.