Buchtipp: Überleben unter den Roten Khmer

Ihre fürchterlichen Kindheitserinnerungen lassen Thabita Pech-Kranch bis zum heutigen Tag nicht mehr los. Sie war gerade einmal sieben Jahre jung, als die Pol-Pot-Mörderbande „Rote Khmer“ in Phnom Penh einmarschierten und die Menschen auf’s Land deportierten. Ein Drittel der Gesamtbevölkerung, 1,7 bis zwei Millionen Khmer, davon 75 Prozent Männer, wurden in nur vier Jahren ermordet, Folter und Gewalt waren an der Tagesordnung (unser Foto zeigt den Autor dieses Beitrags mit einem der nur sieben Überlebenden des Foltergefängnisses „S-21/Tuol Sleng“ in Phnom Penh. In dieser Einrichtung wurden zehntausende Menschen gefoltert, ermordet und später in den „Killing Fields“ verscharrt – die Red.). Über ihr persönliches Leiden und das ihrer Familie hat Thabita Pech-Kranch ein eindrucksvolles Buch geschrieben: „Überleben unter den Roten Khmer“. Auf 192 Seiten beschreibt und verarbeitet sie, die heute in Wiesbaden lebt, ihr Leben und das ihrer Familie in der vierjährigen Bauerndiktatur von 1975 bis 1979. Und das, was sie aus der Sichtweise eines Kindes schreibt, lässt einem den Atem stocken ob der unvorstellbaren Grausamkeiten, die sie als kleines Mädchen erleben musste. Das Buch beginnt wie ein Märchen: „Vor langer Zeit…“, mündet aber dann in den puren Horror. Der beginnt ab Seite 37, zuvor beschreibt die 1968 in Phnom Penh geborene Thabita Pech-Kranch eine Kindheit, wie sie glücklicher nicht hätte sein können. Sie dauerte bis zum Einmarsch der Pol-Pot-Truppen in die kambodschanische Hauptstadt am 17. April 1975. An diesem Tag endete nicht nur Thabitas glückliche Kindheit jäh. Die Mörder, allesamt pechschwarze Uniformen tragend, verbreiteten von Anbeginn an einen entsetzlichen Terror. Die Telefonleitungen wurden gekappt, die Versorgung mit Strom, Wasser und Gas unterbrochen. Doch für die kleine Thabita war es da noch das Schlimmste, dass ihre Lieblingsmaus nicht mehr zu Besuch kam, sie ihr so keinen Reis mehr gegen den Hunger geben konnte. Während der Deportationen aus der Hauptstadt heraus auf das Land wurden Familien getrennt, an den gefürchteten Straßensperren forderten die „Roten Khmer“ die Menschen auf, jeweils einem rechten oder einem linken Weg zu folgen. Wer nach rechts gehen musste, vermeintlich Intellektuelle etwa oder Soldaten und Polizisten des früheren Regimes, aber auch Behinderte (die Roten Khmer duldeten keine „Schwächlinge“), wurden kurz darauf im Wald erschossen. „Ta-ta-tatta-ta!“ – mehrfach hörte Thabita und ihre Familie die Schüsse, bis die „Roten Khmer“ dann später Munition einsparten und die Menschen mit Gewehrkolben erschlugen oder sie einfach erwürgten. Man wollte „mit allem von vorne anfangen“, so die Botschaft Pol Pots, ihm schwebte ein reiner Bauernstaat vor, und Intellektuelle und Lehrer störten in diesem gewollten System.

Thabitas Fluchtweg war übersät von verwesten Menschenkörpern

Auf die, die bei den Barrieren nach links gehen durften, warteten dann Hunger, Verzweiflung und nicht selten auch der Tod. Einmal trug Onkel Dol die kleine Thabita auf der Schulter, und wenn das Kind nach unten sah, entdeckte sie „Haufen von verwesten Menschenkörpern, die gelblich-blau waren.“ Doch sie wird immer wieder von ihrer Mutter, die einen unerschütterlichen Optimismus auszeichnete, ermutigt: „Das Schönste ist doch: dass wir noch leben!“ Und so liefen sie drei Monate lang, bis sie endlich den Ort Tuk Meas erreichen. Doch das Haus eines Verwandten, wo sie wohnen wollten, stand nicht mehr, und so ging es weiter nach Srei Prei, wo Thabitas Cousin Bann im Auftrag der Roten Khmer sein Unwesen trieb. Ein Unwesen, das selbst vor Verwandten keinen Halt machte. So beschreibt das Kind Thabita, wie Bann ihren Lieblingsonkel Reun erschießen liess, ihm danach die Leber aus dem Körper riss und sie aß. Einen alten und blinden Mönch ließ er zur eigenen Belustigung in den Reisfeldern schuften und zwang Alleinstehende zur Heirat. Oder er führte besonders schöne Mädchen gut aussehenden Chinesen zu, damit „perfekte Babys“ gezeugt würden. Am Ende hat Cousin Bann 30 Verwandte ermordet, die Kleinkinder wurden von ihm einfach gegen Bäume geschleudert. Thabita Pech-Kranch beschreibt in ihrem Buch sehr viel, auch Dinge, die ihr damals kindlichen Spaß bereitet haben. Manchmal möchte man gar lachen über die Aktionen der kleinen Thabita. Doch je mehr sie den vermeintlichen Alltag in diesem Buch beschreibt, umso klarer wird dem Leser, dass der Horror sicher noch seine Steigerungen erfahren wird. Und der Leser, soviel sei verraten, wird mit seinen Ahnungen recht behalten. Am Ende erläutert Frau Pech-Kranch, was sie mit dem Buch bezwecken möchte: „Wir alle kämpften um unser Leben. Ich wünsche mir nur eins, (…) dass unser Kampf derselbe sei: Der Kampf, um unseren wahren Ursprung wiederzufinden und ein friedliches Kambodscha gemeinsam aufzubauen. Denn unsere geliebten Millionen Toten kehren nie wieder zurück…“ Es ist dies ein ausgezeichnetes, ein authentisches Buch mit Fotos der Autorin. Darüber hinaus ist es gespickt mit vielen Informationen. Wer also den Holocaust in Kambodscha in den Jahren 1975 bis 1979 verstehen will, sollte es sich kaufen.

Thabita Pech-Kranch: „Überleben unter den Roten Khmer“. Edition Octopus. 192 Seiten. 13,50 Euro. ISBN 978-3-86582-868-2.