Wahlen in Kenia: Gewalt, Geschichte und Stammesehre

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Kitui/mte – Der heutige 4. März 2013 soll ein großer Tag in der Geschichte Kenias werden. Zwischen 6 und 18 Uhr wählt die Bevölkerung ihren neuen Präsidenten. Bisher steht eines fest: Es wird einen neuen Präsidenten geben – den vierten in der Historie des Landes. Doch wie viel Veränderung dieser Neue mit sich bringt, das bleibt bis zum Ende fraglich.

Zur Wahl stehen acht Präsidentschaftskandidaten, doch nur zwei haben in den Umfragen eine reale Chance auf den wichtigsten Posten der Nation. Zum Einen ist von Uhuru Kenyatta (Spitzenkandidat der Partei TNA) die Rede und zum Anderen von Raila Odinga (Spitzenkandidat der Partei CORD). Monatelang lieferten sich diese beiden Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, doch kurz vor den Wahlen ließ sich ein leichter Favorit ausmachen. Uhuru Kenyatta scheint mit seinen Schlussoffensiven mächtig Schwung in seinen Wahlkampf gebracht zu haben. Man sieht mehrheitlich Menschen mit roten Kappen und T-Shirts mit dem Aufdruck „TNA“ durch die Straßen laufen. Die Farbe Rot kann in diesen Tagen nur Eines bedeuten: Kenyatta hat mit seiner Kampagnenstrategie zumindest optisch Erfolg gehabt.

Rund 14,3 Millionen Bürger sind in Kenia wahlberechtigt. Die Verantwortlichen rechnen damit, dass die Wahlbeteiligung enorm hoch sein wird, da die Präsidentschaftsfrage ein heikles Thema ist und sich niemand die Chance nehmen lassen möchte, für die Zukunft des Landes mitzuentscheiden. Zugleich entscheiden sie über die künftigen Gouverneure, Senatoren, Mitglieder im Parlament, den Representanten der Region sowie eine Repräsentantin für die Frauen in jeder Region. Somit hat jeder Wahlberechtigte in Kenia insgesamt sechs Stimmen. Den öffentlichen Medien und vielen Meldungen auf Portalen wie Facebook kann man entnehmen, dass sich vor den Wahllokalen in der Hauptstadt Nairobi, der Küstenstadt Mombasa und in Kisumu im Westen des Landes seit 4:30 Uhr am Morgen kilometerlange Schlangen gebildet haben. Viele Menschen versammelten sich schon in der Nacht vor den Wahllokalen, um möglichst früh ihre Stimmen abzugeben.

Das hohe Interesse ist ein gutes Indiz für eine friedliche Wahl 2013. Die Mehrheit des Landes scheint an der Zukunft interessiert zu sein und zeigt der Gewalt die kalte Schulter. In den Medien wurde seit Wochen an die Moral der Bürger appelliert, den Prozess friedlich zu gestalten. Niemand möchte sich die Folgen ausmalen, oder gar, wie bei den Unruhen von 2007, diese nochmal durchleben müssen. Als Folge der damaligen Wahlen sind mehr als 1 300 Menschen getötet worden, mehr als 630 000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben und mussten in Lagern aufgefangen werden. Vielfach wurden Häuser niedergebrannt und es wird von grausamen Gewaltakten wie Folter und Vergewaltigungen gesprochen. Dieser Hass und diese Taten lassen sich auf den Ursprung der insgesamt 42 Stämme zurückführen, auf die sich noch immer viele Menschen in Kenia berufen. Die Präsidentschaftskandidaten 2007 hießen Mwai Kibaki und Raila Odinga. Kibaki gehört zum Stamm der Kikuyus und ging als Sieger aus den Wahlen hervor. Raila Odinga wurde in den Stamm der Luos geboren und war schon siegessicher, musste sich dann jedoch als Verlierer wiederfinden. Er warf dem neuen Präsidenten Wahlbetrug und Stimmenklau vor, woraufhin seine Anhänger auf die Barrikaden gingen. Besonders in den zwei größten Städten Nairobi und Mombasa, aber auch im Westen kam es zu besonders gewaltvollen Auseinandersetzungen, da gerade dort diese beiden Stämme in großer Anzahl aufeinandertreffen.

Unheilvollerweise stehen sich auch dieses Jahr wieder ein Kikuyu (Kenyatta) und ein Luo (Odinga) gegenüber. Aber das ist nicht das Einzige, das auf eine nicht friedlich verlaufende Wahl hindeutet. Auch die Familienstrukturen der beiden spielen eine immense Rolle. Uhuru Kenyatta ist der Sohn des ersten Präsidenten Mzee Jomo Kenyatta und Raila Odinga ist der Sohn des früheren Vizepräsidenten unter der Präsidentschaft von Jomo Kenyatta. Zu Beginn der Präsidentschaftsperiode des ersten Präsidenten zogen beide an einem Strang, doch die politischen Meinungen gingen mehr und mehr auseinander bis Odinga schließlich zurücktrat und bei den nächsten Wahlen als Gegner von Kenyatta antreten wollte. Jedoch verstarb dieser noch vor den nächsten Wahlen und Odinga trat gegen Daniel Toroitich Arap Moi, den späteren zweiten Präsidenten, an, der die gleiche politische Einstellung wie Kenyatta vertrat – und verlor. Die Wahl ist also nicht einfach nur ein Kampf zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten. Böse Zungen könnten behaupten, dahinter steckt so etwas wie Hass.

Während der vergangenen Amtsperiode hatte Raila Odinga die Position des Regierungschefs inne und Uhuru Kenyatta war sein Stellvertreter. Aus der Sicht Kenyatta und scheinbar auch aus der Sicht der Mehrheit des Volkes, soll sich dies nun ändern.

Das Wahlergebnis soll zwischen dem morgigen Tag und dem 11. März bekanntgegeben werden. Erreicht kein Politiker die absolute Mehrheit (51%), wird es am 11. April eine Stichwahl geben.

Doch bereits am Morgen des heutigen Wahltages ist der Auftakt der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Kenia von Gewalt überschattet worden. Medienberichten in Kenia zufolge sollen zwölf Menschen bei Anschlägen getötet worden sein. Unter den Toten sind laut Polizei sechs Polizisten und sechs Angreifer. Die Anschläge ereigneten sich in der Küstenregion Mombasa/Kilifi kurz vor Öffnung der Wahllokale. 400 Beamte wurden in die Küstenprovinz entsandt, um für Sicherheit zu sorgen, sagte Polizeichef David Kimaiyo. Andere kenianische Medien berichten sogar von 17 Toten in der Küstenregion. Unter den Opfern seien neun Polizisten, die auf Streife oder an Kontrollstellen von jugendlichen Anhängern einer örtlichen Jugendpartei mit Macheten umgebracht wurden. In Chumani im Kilifi-Distrikt sollen allein fünf Menschen, darunter zwei Polizisten, ums Leben gekommen sein. „Unsere Männer wurden von einer Gruppe Jugendlicher mit Macheten angegriffen. Es war ein Hinterhalt“, sagte Clement Wangai, Polizeichef des Kilifi-Distrikts.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind dies die einzigen Ausschreitungen im Lande. Die Nation hofft, dass das auch weiter so bleiben wird, jedoch kann sich zu diesem Zeitpunkt niemand ausmalen, wie die Anhänger der Parteien auf das offizielle Wahlergebnis reagieren. Wird es eine Stichwahl geben, wird es wohl bis zum 11. April friedlich bleiben. Sollte es schon in dieser Woche einen neuen Präsidenten geben, kann es sehr wahrscheinlich zu Ausschreitungen kommen. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.