Eine Pauschalreise als Kaffeefahrt: Wie ein Türkeiurlaub zum Desaster werden kann

Die Anzeige erschien durchaus verlockend. Eine “5-Sterne-Bildungsrundreise” nach Istanbul und anschließend in die Westtürkei bot der „Reise Service Deutschland” (RSD) an, und der angebliche Kostenfaktor “799 Euro” war dick durchkreuzt. Nein, diese Reise sollte für mich als “Leser des TAGESSPIEGEL!” nur 179 Euro kosten, da sei “Alles drin!”. Und dann wurde das ganze auch noch empfohlen von dem ja ach so seriösen Dieter Kronzucker, der, als brauche man für diese Erkenntnis Dieter Kronzucker, die “Vielschichtigkeit der Kulturhauptstadt Istanbul” bejubelte und den Interessierten sodann den Reiseverlauf präsentierte: Istanbul – Troja – Sardes – Denizli – Laodicea – Antalya. 179 Euro – ein Schnäppchen – auf also in die Türkei!

Fahrt über den Bosporus (© inforand/doe)
Fahrt über den Bosporus (© inforand/doe)

Eine unverlangte Bosporusfahrt für 39 Euro

Aus Berlin-Schönefeld in Istanbul angekommen waren etliche Gäste bereits seit zehn Stunden auf den Beinen, was RSD nicht daran hinderte, die Angereisten stante pede auf ein Schiff zu verfrachten, das hiernach auf dem Bosporus zwischen der imposanten Unkapani- und der Galata-Brücke hin und her schipperte. Im Programm stand von dieser Schifffahrt nichts, und kostenlos war dieser unvorhergesehene Programmpunkt nur für die Inhaber eines bestimmten Pakets, das man erwerben mußte und von dem später noch zu berichten sein wird. Die anderen mußten 39 Euro abdrücken oder aber eineinhalb Stunden im Bus sitzen bleiben. Also: Rauf aufs Schiff. Doch war es kühl und es regnete in Strömen, nicht gut für schöne Urlaubsfotos. Man verharrte also lieber im Schiffsinneren, und da war die Freude groß, als emsige Bedienstete den Reisenden ein Käsesandwich förmlich in die Hand drückten, dieses begleitet von einem frischen Apfelsinensaft und Rakischnaps. Alle werden in diesem Moment daran gedacht haben, daß das Programm ja ein “Willkommensgetränk” in Aussicht stellte, man aß und trank also gerne, die Laune stieg spürbar und hielt sich solange auf hohem Niveau, bis dann die Rechnung kam: Zehn Euro. Eine Warnung der Reiseleiter vor dieser Abzocke? Fehlanzeige! Sie trugen dafür türkische Prosa vor und verwiesen nach entsprechenden Beschwerden darauf, das mache “man so in der Türkei”. Man bekommt also in der Türkei mir nichts dir nichts Sandwiches und Getränke vorgesetzt ohne jeglichen Hinweis darauf, daß das etwas kostet, dabei gar völlig überteuert ist? “Unsinn!” wird nach der Reise ein seriöser türkischer Geschäftsmann in Berlin sagen, da habe man uns “einfach mal so richtig schön verarscht”. Womit wir bei den Reiseleitern wären.

„Gute“ Gäste und „schlechte“ Gäste

Wenn der dem Autor dieses Reiseberichts zugeteilte Reiseleiter, nennen wir ihn Ahmet, es wollte, dann war er gut gelaunt. Wenn nicht, dann eben nicht. Ahmet teilte seine Gäste auch nicht in “gute Gäste” und “schlechte Gäste” ein, wie es nach Angaben dreier Reiseteilnehmer in einem der anderen fünf RSD-Busse passiert sein soll. Hintergrund: Der “Tagesspiegel-Kronzucker-Reiseprospekt” unterbreitet “Zusatzleistungen auf Wunsch (…) für Sie als Leser des TAGESSPIEGEL!”, ein ´Kultur- & Genusspaket” für 149 Euro´” und, so der Reiseleiter dann vor Ort, auch ein “Goldpaket” für 249 Euro (was auch das Mittagessen und einen weiteren Ausflug nach Aspendos beinhaltet). Beide Pakete muß man zwar nicht buchen, doch tut man das nicht, bekommt man, was logisch ist, weder Mittag- noch Abendessen, und auch die Eintrittsgelder müssen selbst gezahlt werden. Einige Gäste in anderen Bussen taten genau dies, buchten also keines der Pakete und waren fortan eben “schlechte Gäste”, was sie durchaus auch zu spüren bekamen. Immerhin wurde allen, hier auch den “schlechten” Gästen, einmal vom Reiseleiter ein Raki angeboten, weil der “Tag so schön” gewesen war. Alle dachten, dies sei Ausdruck einer freundlichen Aufmerksamkeit des RSD. Sie dachten das allerdings nur so lange, bis der Reiseleiter begann, 2,50 Euro pro Raki einzusammeln. Das kann man als filigrane Form des Mobbings, auf jeden Fall aber einmal mehr als „Verarsche“ bezeichnen. Ja, der Autor dieses Reiseberichts, ein Mittagessenverweigerer und somit stolzer Besitzer des abgespeckten “Kultur- & Genußpakets” für 149 Euro, hatte das, was andere Reisende in anderen Bussen erleben mussten, nicht erlebt. Er wurde von Ahmet nicht – wie es bei anderen Reiseleitern vorkam – vor versammelter Mannschaft zur Sau gemacht, wenn er sich während der Besichtigungen davonstahl, um Fotos zu machen, wo keine Menschen drauf sind. Und: Ahmet, das muß man ihm zugestehen, zeigte sich bei seinen Vorträgen ausgesprochen kompetent und war auch bereit, sich zu korrigieren, wenn ein Reiseteilnehmer etwas von dem, was er sagte, richtig stellte.

Warteschlange vor der Blauen Moschee in Instabil (© inforand/doe)
Warteschlange vor der Blauen Moschee in Istanbul (© inforand/doe)

Wenn Reiseleiter ihren Beruf verfehlen…

Ansonsten aber konnte Ahmet ein Totalausfall sein. Situationen mit unzufriedenen Reisenden wurden von ihm nicht geklärt beziehungsweise deeskaliert, sondern er ließ manche Vorfälle gar eskalieren oder er ignorierte sie bestenfalls stoisch. Kritische Medienberichte über solche Reisen, so Ahmet, würden bei den Reiseleitern im Übrigen regelmäßig dazu führen, daß sie sich “kaputt lachen!”. Stolz verkündete er dies der Reisegesellschaft, und diese merkwürdige Form von „Souveränität“ wirft ein bezeichnendes Licht auf das Ausmaß seiner Kritikfähigkeit, das seiner Kolleginnen und Kollegen und wohl auch des RSD selbst. Nein, dieser Reiseleiter mag inhaltlich-organisatorisch kompetent sein, doch zweierlei scheint ihm völlig abzugehen: Empathie und Problemlösungskompetenz. Quasi das also, was bei einem Reiseleiter-Anforderungsprofil ganz oben stehen sollte. Ein exemplarisches Beispiel: Das im Programm ausgewiesene “Willkommensgetränk” wurde am vierten Tage gereicht, beim Einchecken in ein Hotel, umzingelt von Dutzenden Koreanern. Süße Säfte in exakt abgezählten Plastikbechern, Gesamtwert wohl um die vier Euro. Als einer der Gäste bemängelte, seine Frau habe keinen dieser Säfte mehr bekommen, orderte Ahmet nicht nach, sondern er verkündete lakonisch: “Tja, da hat wohl einer von Ihnen zwei Säfte getrunken!” Die arme Gattin mußte also leider dürsten. Eine “Gesamt-Note 1,59″ soll RSD nach eigenen Angaben von den bisher Reisenden bekommen haben, im Prospekt loben Kunden wie “Norbert R. aus M.” oder – uiuiuiuiuiui, intellektuelle Bildungsbürger aufgepaßt !!! – gar eine “Dr. Edda M. aus E.” die Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und Kompetenz der Reiseleiter. 1,59 also, bekräftigt gar von einer – hoffentlich – wahrhaft existierenden und richtigen Doktorin… Es wird immer das Geheimnis von RSD bleiben, wie der Veranstalter zu dieser Note gelangt ist, zumal während der Reise kein Evaluierungsbogen verteilt wurde. Eine Anfrage beim “TÜV Nord”, der diese Note “1,59″ zertifiziert haben soll, dahingehend, wie „TÜV Nord“ denn da vorgeht, blieb bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Reiseberichts leider unbeantwortet.

Der Preis für den Preis ist hoch

Was an der Reise zu loben ist: Sehr gute Hotels (vor allem zu empfehlen: das Catamaran Resort Hotel in Beldibi/Konyaalti), sehr gutes Essen. Immerhin. Somit war der Grundpreis von 179 Euro – der Autor hat mit Saisonzuschlag, Reise-Rücktrittskosten-Versicherung und Kulturpaket insgesamt 426 Euro bezahlt – in der Tat ein Schnäppchen. Schnell aber wird klar, daß dieser Preis seinen Preis hat. Einen hohen Preis. Die Hotels befinden sich am Arsch der Welt, oft ist man gezwungen, in diesen Häusern zu verbleiben, wo das einheimische Efes-Bier 4,50 Euro (0,3 l) kostet oder eine Flasche Wein, die der Autor dieses Reiseberichts nicht mal zum Kochen verwenden würde, 30 Euro. Höchste Gefahrenstufe gilt übrigens dann, wenn RSD in seinen Broschüren ankündigt, man übernachte “in Raum Antalya” (sic!). Die Wahrheit im Fall dieser Reise: Das letzte Hotel befand sich eine Dreiviertelstunde entfernt von Antalya in einer Gegend, wo nichts ist und wo man nicht mal tot überm Zaun hängen möchte. Wer dann Antalya besuchen wollte, mußte für ein Taxi 100 Euro zahlen. Der Preis eben für den Preis. Überhaupt: Daß manche Reisende den Eindruck hatten, ständig eine Hand in ihrer Geldbörse zu haben, sich ihnen gar der Verdacht aufdrängte, Reiseleiter und RSD sind bis hin zur unverlangten Schiffsverpflegung zu Beginn der Reise prozentual an allem irgendwie beteiligt, war genauso unerträglich wie die Tatsache, daß der “Schnäppchenpreis” argumentativ für alles und jedes herhalten mußte nach dem Motto: “Hey, die Reise ist billig, also kauft jetzt Teppiche, Schmuck und Leder!”. Nicht nur Ahmet betonte das ständig ungefragt, sondern auch jeder Teppichhändler, Schmuckhändler und Lederhändler, zu denen die Reisegruppe gekarrt wurde. Alle bildeten einen stimmigen Chor, gehirnwäschenartig trugen sie vor, daß es bei diesem “Schnäppchenpreis” doch klar sein müsste, daß eine solche Reise nur zu finanzieren sei, wenn die Teilnehmer eben Teppiche, Schmuck und Leder kaufen. Dem sicherlich naiven Autor dieser Reisereportage war das so beim Buchen aber nicht klar, weder der “Tagesspiegel”, noch Dieter Kronzucker, noch der Veranstalter selbst haben das so angekündigt. Im Prospekt steht lediglich blumig was von “Besuchen” von Manufakturen und der “Gelegenheit zum Einkauf”. Diese “Gelegenheit” wurde von einigen Reisenden im Übrigen auch wahrgenommen, und die anderen mußten dann auf Parkplätzen so lange warten, bis die Gefeilscheprozeduren erfolgreich beendet und dann auch noch die Ärmel der frisch erworbenen Lederjacke gekürzt waren, weil es in Deutschland ja keine Schneidereien gibt. Wer da aufmuckte, wurde einmal mehr darauf hingewiesen, daß es doch eben diese Käufer seien, die den Nichtkäufern diese Reise finanzieren. Dazu gestreng Ahmet, der Reiseleiter: “Da muß jeder tolerant sein!” Na, herzlichen Dank. Eine Toleranz übrigens, die bei Ahmet selbst ihre eng definierten Grenzen hatte. Wer etwa seine Pakete mit der Kreditkarte begleichen wollte, dem wurde mitgeteilt, daß das nicht gehe. Der Buchhalter vor Ort habe für fünf Busse leider, leider nur ein Kreditkartengerät.

Impressionen im "Volksbasar" in Antalya (© inforand/doe)
Impressionen im „Volksbasar“ in Antalya (© inforand/doe)

Keine Reise für Individualisten und Freiheitsliebende

Wer in türkischen Lira zahlen wollte, wurde von Ahmet zerknirscht angeguckt: “Ganz schlechter Kurs!” Also wurden die Reisenden aufgefordert, bei einem Geldautomaten Euro abzuheben, und natürlich wußte Ahmet genau, wo dieser Geldautomat zu finden war. Kostenpunkt für die Reisenden bei einem abgehobenen Betrag von 200 Euro: 7,50 Euro.
Lobend zu erwähnen indes ist der Besuch im Teppichknüpfzentrum in Cankurtaran/Denizli, wo der Geschäftsführer, Ahmet Eski, es schaffte, die hohe Kunst der Teppichmanufaktur derart lehrreich und spannend zu erläutern, daß der Autor dieses Reiseberichts künftig mit weitaus größerem Respekt seinen türkischen Teppich zu Hause betreten wird, als er es in den letzten Jahren getan hatte.
Fazit: Eine solche Reise ist nichts für Individualisten und schon gar nichts für Freiheitsliebende. Man gibt beim ersten Einsteigen in den Bus seine Eigenständigkeit an den beiden Eingängen ab, und wer das nicht zu tun gedenkt, der kann das durchaus zu spüren bekommen. Sehr wohl aber ist eine solche Reise geeignet für Menschen, die bereit sind, den Preis für den Preis zu zahlen, etwa die völlig überhöhten Getränkepreise in den (ausgezeichneten) Hotels, die sich fernab der pulsierenden Städte befinden. Eine solche Reise ist auch was für Leute, die es verinnerlicht haben, daß das Konzept nur dann zu funktionieren scheint, wenn sie die entsprechenden Pakete und Teppiche, Schmuck und Leder erwerben.  Weitere Zielgruppen für solche Reisen: Kaffeefahrtfetischisten, Menschen mit einem unerschöpflichen Toleranzpotential und/oder solche, die anderweitig weitgehend schmerzfrei sind.
Von der Reise zurückgekehrt fand der Autor dieses Reiseberichts übrigens einen Brief vom RSD in seiner Post. Darin enthalten war nicht etwa der erbetene Fragebogen, der ihm während der Reise nicht ausgehändigt worden war. Auch kein Brief, in dem eine Hoffnung des Reiseveranstalters dahingehend zum Ausdruck kam, daß der Zurückgekehrte, der diese Reise bereits vollständig bezahlt hatte, hoffentlich begeistert sei von dieser Reise. Nein, darin befand sich eine Rechnung: “Bitte überweisen Sie den offenen Betrag in Höhe von 0,00 Euro” bis zum 04.04.2013 auf (…) Konto (…)”. 0,00 Euro also. Na wenn das kein Schnäppchenpreis ist. Bleibt dem Autor dieses Reiseberichts nun nur noch die Vorstellung, wie sich Ahmet und seine Kollegen so richtig kaputt gelacht haben, als sie diesen Beitrag lasen.

Fotos: Holger Doetsch

Die Teilnahme an dieser Reise wurde von niemandem unterstützt. Der Autor hat sie vollständig selbst bezahlt.