Daniel Noel Fleischmann: Ein neuer Arthur Rimbaud

© Pia Poema

100.000 Bücher erscheinen Jahr für Jahr in Deutschland neu, und da ist es nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten. Und es ist vor allen Dingen fast unmöglich, in dieser Flut wahre Perlen zu finden. Der 20-jährige Daniel Noel Fleischmann hat vor zwei Jahren gemeinsam mit seiner Schwester Debora den Literaturpreis des Vereins „Fun For Writing e. V.“ für den Roman „C wie Zukunft“ gewonnen, in der Jury saßen literarische Hochkaräter wie Wladimir Kaminer („Russendisco“), die Tagesschausprecherin Susanne Daubner oder der Feuilletonist Harald Martenstein („Die Zeit“). Nun hat Daniel Noel Fleischmann nach „B3 Süd“ (2012) sein zweites Buch mit seinen Gedichten im renommierten Berliner Wolff Verlag Robert Eberhardt veröffentlicht: Für „Und die Mauern riefen sich“ wurden aus insgesamt zweitausend (!) Gedichten 80 ausgewählt, die der Autor dieser Rezension nicht nur gelesen hat, sondern er hat sie regelrecht verschlungen, und das folgende Urteil übertreibt nicht: Da schreibt ein junger Mann in einem Stil, den so bisher nur einer zustande bekommen hat, der große Arthur Rimbaud nämlich (1854 in Charleville-Meziérès geboren, verstorben 1891 in Marseille). Daniel Noel Fleischmanns Texte sind mal wütend und mal zärtlich, niemals gefällig oder bemüht, sondern sie kommen im Gegenteil sprachgewaltig mit einem Donnerhall daher. Sie sind eine Mischung aus Beichte und Selbstgespräch, mal klagen sie andere an, mal den, der sie verfasst hat. Offenbart werden die Grundmuster des menschlichen Da-Seins, die Texte sind somit auch kleine Protokolle der Verzweiflung des Dichters selbst. Wie Thomas Manns Tonio Kröger fremdelt Daniel Noel Fleischmann nämlich mit dieser Welt und leidet darunter, dass er gleichzeitig nach dieser Welt sehnsüchtelt:

Sah leuchtend grelle Nacht
Schien mir rasch in kalten Zügen
So konnt ich mich in diese Zeit verlieben
Und wartend dort eine Ewigkeit verbringen
Geduldig zusehen, es spüren
Alles taucht ins lautlos Unbekannt
Nimmt sich seine Idylle,
Schafft nächtlich schweigend Momente

Oh, wie unermesslich quält die Lust
Reißt sich von mir, hält sich ganz fest
Mit rauschend Schaukel, ganz sanft

Betritt, o, nie das helle Träumeland
Denn wo man dich sieht,
Verrät man dich dort.

(Idylle)

Daniel Noel Fleischmann erzeugt mit seinen Gedichten famose Bilder, die den Leser in das Geschehen förmlich hineinziehen. Hier wird Liebe zur Begierde, und Begierde wird wieder zur Liebe. An der einen oder anderen Stelle neigt Daniel Noel Fleischmann zu Übertreibungen, was aber nicht wirklich stört, weil er selbst die Übertreibungen auf eine grandiose Art und Weise inszeniert und dabei dafür sorgt, dass das, was er schreibt, bei den Lesern unter die Haut geht. Fleischmanns Dichtungen sind oft reflektiv und so im wahrsten Sinne des Wortes authentisch. Aus Letzterem ergibt sich dann übrigens ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen Rimbaud und Fleischmann, denn die Texte des großen Franzosen waren nicht selten von fiktiver Natur. Daniel Noel Fleischmann hingegen schreibt im Wesentlichen das auf, was ihm widerfahren ist, und wer seine Dichtungen liest, denkt an einen Ausspruch des Schriftstellers Bodo Kirchhoff: „Schreiben ist Handwerk plus eigener Abgrund (…). Ein Mittel, aus dem Schmerz und dem Chaos zu kommen.“ Ja, die Gedichte des 20-Jährigen, der zur Zeit in Berlin an DIE ETAGE eine Schauspielausbildung absolviert, sind auch eine Herzensergießung eines feinnervigen Menschen, der damit seine eigene Rätselhaftigkeit unterstreicht.

Für alle, die fielen
Und das Seil ihre Kunst
Doch niemand wohl
Hielt sich dort fest
In welchem man
Die Hoffnung sieht
In Zahlen verschwunden
Die Geschichte jeder Zeit vergeht
Ja, denn alles fließt
Geht unter, trocknet aus
In jeder Stadt,
In der jeder läuft
Doch läuft man einsam
Dort spricht einsam
Wer wahre Nächte finden will.

Oh, Einsamkeit lauert im Dunkel
Bis die Sonnenmaske neu erwacht
Aus Lüge und Erinnerung
Für alle, die fielen
Vergisst man wie die Nacht.

Das, was Daniel Noel Fleischmann in seine Kladden notiert, ist große Literatur, die schon deshalb eine Bedeutung hat, weil sie uns wie weiland auch Arthur Rimbaud es getan hat dazu auffordert, unseren engen Horizont zu überschreiten, damit wir eine neue Welt kennenlernen. Blitzlichtartig werden Grundmuster des menschlichen Daseins erhellt und dabei zum Teil gelungen überbelichtet. Daniel Noel Fleischmann ist also ein junger Literat, von dem noch viel zu hören und hoffentlich noch mehr zu lesen sein wird.

Daniel Noel Fleischmann: „Und die Mauern riefen sich“, erschienen im Wolff Verlag Robert Eberhardt. 98 Seiten. ISBN: 978-3-941461-16-1. Erhältlich im Buchhandel oder über den Verlag selbst. 14,90 Euro. Eine Sonderedition mit einer CD, auf der der Autor eine Auswahl seiner Gedichte liest, kostet 34,90 Euro. Sie ist signiert und auf 30 Bücher limitiert.